26. April 2024
Experteninterview

Das Quartier etabliert sich als Assetklasse

Quartiere erfreuen sich nicht nur bei Nutzern großer Beliebtheit, sie werden auch ein immer relevanteres Produkt für Investoren. Warum sich dieser Trend gerade in Zeiten von Corona noch verstärken könnte, erläutert Dr. Jan Linsin, Head of Research CBRE, in unserem Experteninterview.

(c) CBRE

Herr Dr. Linsin, die Diskussionen über das neue Anlegerverhalten bei Immobilieninvestments sind rege. Aber welche Trends lassen sich tatsächlich empirisch festhalten?
 
Wir erleben tatsächlich eine Fokussierung auf defensivere Assetklassen. Unter anderem etabliert sich der Wohnimmobiliensektor fest als zweitgrößter Teilmarkt auf den deutschen Transaktionsmärkten: Mit einem Gesamtvolumen von deutschlandweit 12,5 Milliarden Euro im ersten Halbjahr 2020 liegt dieser nur noch knapp hinter den Büroimmobilien. In Österreich hat das Wohnsegment mit einem Anteil von 34 Prozent am gesamten Transaktionsvolumen im ersten Halbjahr 2020 das Bürosegment sogar überholt. Aber auch die Mischung aus Wohnen und Gewerbe wird immer relevanter. Das zeigt sich unter anderem am deutlichen Investment-Plus für Grundstücke. Mit einem Volumen von 3,3 Milliarden Euro wurde der Vorjahreszeitraum in Deutschland um ganze 85 Prozent übertroffen. Besonders begehrt sind dabei Grundstücke, die sich für gemischt genutzte Quartiersentwicklungen eignen, die von immer mehr Investoren geschätzt werden. Auch dieser Trend verläuft in Österreich ähnlich.
 
Welche Vorteile versprechen sich Investoren von gemischt genutzten Quartieren?
 
Der gesellschaftliche Megatrend der Reurbanisierung sorgt dafür, dass immer mehr Menschen auf immer engerem Raum miteinander zusammenleben und -arbeiten müssen. Ein gut ausgearbeitetes Immobilienkonzept mit Wohn-, Arbeits-, Kultur- und Freizeitflächen, das sich nicht nach außen hin abschottet, sondern vielmehr urbane Begegnungsräume schafft, kann daher die Lebens- und Aufenthaltsqualität im gesamten Viertel erhöhen. Dies wiederum macht die Immobilie zu einem langfristig gefragten und entsprechend wetterfesten Investment. Ein solches urbanes Quartier kann in den Top-Lagen entstehen – das muss aber nicht der Fall sein. Genauso kann beispielsweise eine veraltete Industrieimmobilie ihre Renaissance als Büroloft inklusive Coworking- und Coliving-Spaces und klassischen Wohneinheiten erleben. Schon seit Längerem zieht ein solches Konzept nicht mehr nur Start-ups an. Wichtig bei der Lage ist vor allem, dass sich das Quartier in eine intakte urbane Infrastruktur eingliedert – also Teil einer bereits gut funktionierenden und attraktiven Nachbarschaft wird. Ein erfolgreiches Quartier trägt wiederum dazu bei, diese Qualitäten weiterzuentwickeln und die Attraktivität noch zu steigern. Oder aber das gemischt genutzte Quartier sorgt als Initialzündung für eine (Wieder-)Belebung von Stadtteilen: Die vorherrschenden Defizite einer nicht mehr adäquaten Stadtentwicklung werden durch den zielgerichteten Nutzungsmix ausgeglichen.
 
Was ist die größte Herausforderung, wenn es um Quartier-Investments geht?
 
Eine wichtige Herausforderung besteht darin, den Flächenmix so zusammenzustellen, dass das jeweilige Quartier zu einer Aufwertung des Stadtviertels beziehungsweise sogar der gesamten Stadt beiträgt. Um dies zu analysieren, kann inzwischen digitale Technologie auf Big-Data-Basis eingesetzt werden: Anhand von anonymisierten Standortdaten kann das tatsächliche Nutzerverhalten datengestützt untersucht werden. Dadurch entsteht ein Wissensvorteil sowohl für das jeweilige Quartier als auch für zukünftige Projekte – und damit letztlich ein Vorteil für Nutzer, Investoren und ebenso für die öffentliche Hand.
 
Was wird für Investoren angesichts der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf Quartiere wichtig?
 
Gemischt genutzte Quartiere sind nicht erst seit Corona ein Erfolgsmodell, das sich immer stärker als Assetklasse etabliert. Unserer Definition gemäß handelt es sich dabei um ein Areal mit mindestens vier verschiedenen Nutzungsarten, wobei eine dieser Nutzungsarten nicht zwangsweise auf Rendite ausgerichtet sein muss. Der Trend dürfte sich angesichts der gegenwärtigen Situation allerdings nochmals deutlich verstärken. Zwei wichtige Punkte, die von Investoren aktuell besonders geschätzt werden, sind der diversifizierte Cashflow und die konstante Frequenz, die ein funktionierendes Quartier anzieht. Dies sind zwei wichtige Sicherheitsaspekte. Gleichzeitig lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Frage nicht klären, welche langfristigen Folgen tatsächlich für die Flächennutzungen in den einzelnen Marktsegmenten entstehen – also beispielsweise, wie sich die Aspekte Flexible-Working-Strategien und Remote Work auf die Büroflächennachfrage der kommenden Jahre auswirken. Jedoch zeigt sich, dass eine größere Prävalenz flexibler Arbeit nicht dazu führt, dass die Nutzer weniger Bürofläche in Anspruch nehmen. Vielmehr muss die Bürofläche anderen Ansprüchen genügen. In einem Quartier besteht jedoch der Vorteil, dass ein Flächentyp durch die anderen gestärkt wird: Ein Büro, dessen Umfeld viele urbane Qualitäten bereithält, wird langfristig attraktiver sein als eines, dessen Nachbarschaft abends geradezu ausstirbt. Im Hinblick auf die Anmietungsentscheidung kann dies das entscheidende Kriterium zum Vertragsabschluss sein. Aber auch beispielsweise Wohn- und Hotelbereiche profitieren davon, dass der Arbeitsplatz nur einen Steinwurf weit entfernt ist. Ein Quartier der kurzen Wege wird von dem zunehmenden Trend des flexiblen Arbeitens profitieren.
 
Welche Risikofaktoren ergeben sich?
 
Eigentlich gibt es bei Quartieren nur drei mögliche Problempunkte: Erstens die relativ komplizierte Baurechtschaffung. Zweitens ein zu starres Immobilienkonzept. Unsere Städte wandeln sich schneller als je zuvor, weshalb auch gemischt genutzte Quartiere sich mit der Zeit verändern beziehungsweise „mitwachsen“ können müssen. Drittens kann schnell Urbanität verloren gehen, wenn die einzelnen Immobilien innerhalb des Quartiers von verschiedensten Akteuren ohne einheitliches Leitbild gemanagt werden. Besser ist es, wenn die Verantwortungen und Kompetenzen in einem Team gebündelt werden. Wichtig dabei ist auch, dass der Gedanke „Space as a Service“ den Weg vom Konzept auf die Fläche findet. Der Quartiersmanager, Community-Manager – oder wie immer sein genauer Titel lauten mag – sollte sich nicht allein auf die Anforderungen der Investoren fokussieren. Genauso wichtig sind die Bedürfnisse all derer, die im Quartier leben und arbeiten.