22. Dezember 2024
Ausgabe Q3/2022

CO2-Neutralität reicht nicht aus. Wir brauchen vollständig CO2-freie Gebäude

Baumeister Ing. Herbert Hetzel, Gründer und CEO von Beyond Carbon Energy, über das späte Umdenken in der Immobilienwirtschaft – und was wir nun wirklich für den Klimaschutz tun müssen.

Interview mit Herbert Hetzel, Founder, Shareholder, CEO von Beyond Carbon Energy

Herr Hetzel, wo sehen Sie den größten Hebel für den Klimaschutz in der Immobilienwirtschaft?

Hetzel: Das Heizen und Kühlen von Immobilien verursacht etwa 40 Prozent aller CO2-Emissionen weltweit. Da liegt also der Hebel. Allerdings nur, wenn wir nicht weiter in der bisherigen Kategorie der CO2-Neutralität denken. Neutral heißt ja unter anderem, mit Pellets oder beispielsweise Biogas zu heizen. In der Gesamtbilanz wird dabei zwar tatsächlich nur so viel emittiert, wie vorher durch die Fotosynthese aus der Luft gezogen wurde. Aber es wird eben weiterhin emittiert. Die Erwärmung der Welt auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist faktisch bereits gescheitert, im Moment müssen wir also gegen jedes Zehntelgrad mehr kämpfen. Wir müssen daher in einer neuen Kategorie denken und agieren. Und die lautet, CO2-frei zu heizen und zu kühlen, denn hier kann ein maßgeblicher Erfolg beim Einsparen der Treibhausgase erzielt werden, ohne dass Kunden Komfortverluste erleiden müssen.

Und wie erfolgt CO2-freies Heizen und Kühlen am besten?

Hetzel: Wir lösen das Problem mit einem saisonalen Energiespeicher, der die Energie aus der sommerlichen Abwärme im Zuge der Gebäudekühlung in der Wintersaison als Heizenergie für die Raumheizung und für die Warmwasseraufbereitung bereitstellt. Unterstützt wird dieses System durch geeignete Wärmepumpen sowie idealerweise durch Erzeugung von Ökostrom auf der Liegenschaft selbst, also durch Photovoltaik oder Klein-Windräder. 

Für die Wirtschaftlichkeit ist dabei wichtig, dass die Energie nicht teurer sein darf als jene, die man am klassischen, traditionellen Energiemarkt einkauft. Denn ich war selbst jahrzehntelang Developer und weiß, dass keine ökonomischen Nachteile entstehen dürfen, wenn sich derartige Systeme rasch weiterverbreiten sollen. Heute biete ich mit Beyond Carbon Energie als Energieversorger ein solches System für Neubau- und Bestandsimmobilien an und sehe, dass die Nachfrage wächst – wir haben derzeit eine neue Liegenschaft pro Woche auf dem Tisch. Für den Klimaschutz ist das aber natürlich noch lange nicht genug. Wir laden daher interessierte Unternehmen ein, diesen Business Case ebenfalls umzusetzen.

Zwar sind Frankreich und das Vereinigte Königreich inzwischen stärker zur Alternative für den DACH-Raum geworden, aber dennoch hat vor allem Deutschland weiterhin eine herausragende Stellung als weltweit wichtiger Immobilienmarkt.

„In der Vergangenheit hat die Branche wenig Fokus auf die Energieversorgung gelegt ...“ 

Herbert Hetzel
Gründer und CEO,
Beyond Carbon Energy

Dach oder Freifläche – wo ist Photovoltaik am besten aufgehoben?

Hetzel: Ich favorisiere die Freiflächen auf dem Grundstück. So kann man beispielsweise Parkplätze mit Solarpaneelen überbauen. Die Parkplätze erhalten kühlenden Schatten und man kann E-Automobile auch gleich noch direkt an dem Ort laden, wo der Strom gewonnen wird. Schrägdächer auf Wohnhäusern eignen sich üblicherweise aber natürlich auch. Beim Einsatz auf Flachdächern, wie man sie häufig bei Gewerbeimmobilien findet, sind die Halbwertszeiten von PV-Anlagen und Dachkonstruktion in Einklang zu bringen, um wirtschaftlichen Schaden in der Zukunft zu vermeiden. Oft sind diese Flächen auch aufgrund der diversen Dacheinbauten und -aufbauten nicht so ideal, wie gemeinhin angenommen wird. 

Die gesamte Immobilienbranche spricht von der Klimawende. Das Handeln setzt aber erst nach und nach ein. Wie kommt das?

Hetzel: In der Vergangenheit hat die Immobilienwirtschaft wenig Fokus auf die Energieversorgung gelegt, die Kosten dafür waren gering im Vergleich zu den Gesamtinvestitionskosten und die Art der Energieversorgung hatte keinen Einfluss auf den Immobilienwert. Auch die Energieverbrauchskosten von Wohnungskäufern und Mietern waren unauffällig. Diese Perspektive hat sich nun in sehr kurzer Zeit geändert. Energieversorgungssysteme, die durch fossile Brennstoffe unterstützt werden, sind nicht nur für den Kunden teuer geworden, sondern diese belasten auch den Wert der Immobilie und verteuern die Finanzierung derselben. Dazu kommt noch die Diskussion um die Versorgungssicherheit. Da diese Systeme aber nicht trivial sind, sondern einen gewissen Komplexitätsgrad haben, dauert es einige Zeit, bis sich diese Erkenntnisse im Immobilienmarkt verbreitet haben und sich sowohl Immobilienentwickler, Bestandshalter, Wohnungskäufer und Mieter mit der neuen Situation und ihren Auswirkungen vertraut gemacht haben.

Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung des Immobilienwertes in der Zukunft ist jedenfalls der CO2-Ausstoß der Immobilie und die Versorgungssicherheit der Energieversorgung zwei wichtige Faktoren geworden. Entwickler wie 6B47 haben das sehr früh erkannt und wir freuen uns sehr, dass wir eine Reihe von Projekten der 6B47 mit unserem Energieversorgungssystem betreuen dürfen. Wir gehen davon aus, dass nach und nach viele Eigentümer und Developer einen ähnlichen Weg einschlagen werden, um Nachteile bei der Projektfinanzierung, der Vermietung und auch bei Transaktionen zu vermeiden.

Vielen Dank.