30. April 2024
Ausgabe Q3/2021

Die heiße Stadt: Maßnahmen gegen sinkende Lebensqualität

Die städtischen Räume konsequent nachzuverdichten, ist im DACH-Raum längst allgemeiner Konsens. Projektentwickler wagen – wo immer möglich – den Schritt in die Vertikale und realisieren neue Hochhäuser. Und auch die Politik schafft immer neue gesetzliche Grundlagen für eine stärkere Innenraumverdichtung, vor allem für Wohnungen. Ein aktuelles Beispiel hierfür findet sich im deutschen Baulandmobilisierungsgesetz, das unter anderem genau dies vorsieht. 

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Dabei gibt es jedoch ein zentrales Problem: Wenn wir Baulücken schließen und unsere Städte effizienter bebauen, heizen sich diese stärker auf. Straßen, Parkplätze und Fassaden speichern in den meisten Fällen die Wärme durch Sonneneinstrahlung erheblich länger als unversiegelte Freiflächen und grüne Innenhöfe. Hinzu kommt, dass eine allzu dichte und hohe Bebauung die Windzirkulation abschneidet und damit den Luftaustausch einschränkt. Und dies inmitten des menschengemachten Klimawandels. 

In asiatischen Metropolen zeigten sich diese Effekte schon ganz konkret. Nachdem sich beispielsweise der Stadtstaat Singapur in den 2010er-Jahren doppelt so stark erwärmt hatte wie die restlichen Metropolen der Welt, wurden ab 2017 umfangreiche Gegenmaßnahmen zur Kühlung der Stadt eingeleitet. Unter anderem wurden ein Fernkältenetz installiert, die Freiflächen bepflanzt und neue ökologische Bauprojekte eingeleitet. All das steht unter dem Zeichen der „Gartenstadt Singapur“, eine Idee, die bereits 1967 vom damaligen Premierminister eingeführt und nun nach und nach in die Tat umgesetzt wird. 

In Singapur zeigt sich beides: Die konstante Aufheizung einer dicht besiedelten Stadt und die Effektivität groß angelegter Gegenmaßnahmen

 

Handlungsbedarf vor der Haustür

Für den DACH-Raum klangen derartige Hitzeszenarien bis vor Kurzem noch eher abstrakt. Doch nicht zuletzt der vergangene Sommer 2020, der in Europa einen neuen Hitzerekord aufstellte, hat gezeigt, wie sehr die Lebensqualität bei anhaltenden Temperaturbelastungen sinken kann. Bereits ein Jahr zuvor, 2019, hatte der an der ETH Zürich lehrende Tom Crowther mit einer Studie für Aufsehen gesorgt. Den Ergebnissen zufolge werden sich die europäischen Metropolen bis zum Jahr 2050 teilweise drastisch erwärmen. Dabei gehört Wien in einem Punkt sogar zu den Spitzenreitern des Rankings: Der durchschnittliche Temperaturanstieg im wärmsten Monat soll bis zu 7,6 Grad betragen – weshalb einige Medien nach Erscheinen der Studie bereits den klimatischen Vergleich mit Nordmazedonien zogen.

Hitzespitzen stellen Stadtplaner, aber auch Immobilienentwickler vor enorme Herausforderungen. Schließlich existiert für das Problem keine schnelle Lösung. Zudem entsteht ein komplexes Wechselspiel zwischen Außenräumen und Innenräumen: Selbst Gebäudedämmungen und hohe energetische Standards allein helfen nur wenig, sobald sich der Baukörper selbst erst einmal aufgeheizt hat. Wenn wiederum für das Kühlen der Innenräume massiv auf konventionelle Klimaanlagen zurückgegriffen wird, wäre dies äußerst klimaschädlich.

 

Ausgangsbasis: Lösungsfindung nur durch Kooperation

Vollumfängliche und wirksame Konzepte für eine nachhaltige Kühlung unserer Städte müssen daher bereits jetzt implementiert werden – lange bevor das Problem in unseren Metropolen allzu akut wird. Die Maßnahmen in Singapur können dabei durchaus als Inspiration dienen, müssen aber passend für die Städte im DACH-Raum adaptiert werden. Dafür ist ein konstruktiver Dialog zwischen allen Beteiligten aus der privaten Wirtschaft sowie den zuständigen Bau- und Planungsämtern nötig, denn viele Lösungen bergen Zielkonflikte: Die aktuelle Wiener Regulierung zur Fassadenbegrünung beispielsweise sieht vor, dass sämtliche Hochhäuser teilweise bepflanzt werden müssen. Dies ist ein wirksames Mittel gegen Hitze im Außen- und Innenraum sowie schlechte Stadtluft, jedoch für den Entwickler mit Folgekosten und weiteren Herausforderungen wie einem konstanten Pflegeaufwand bis hin zu möglichen statischen Folgen verbunden. Ähnlich verhält es sich mit der Installation von Grünbereichen und dem Rückbau von Parkplätzen, die ebenfalls aus ökologischer Sicht sinnvoll sind, jedoch die vermietbare Fläche reduzieren. Stattdessen könnten Tiefgaragen entwickelt werden, während moderne Mobilitätskonzepte wie das Carsharing den Parkplatzbedarf an sich reduzieren.

Parkplätze speichern mit ihrem Asphalt besonders viel Sonnenwärme. Moderne Mobilitätskonzepte wie Carsharing könnten Abhilfe schaffen und einen Rückbau ermöglichen

 

Hierfür muss nicht zuletzt ein Umdenken in der Immobilienbranche einsetzen. ESG-Standards konsequent zu befolgen, heißt auch, im Zweifel auf zusätzliche Einnahmen zu verzichten. Auf lange Sicht rechnet sich dies jedoch auch wirtschaftlich, denn Grünbereiche und andere Flächen, die selbst keine Einnahmen generieren, erhöhen die Lebens- und Arbeitsqualität aller Menschen im jeweiligen Quartier und sorgen somit für eine Aufwertung der Mikrolage. Im Umkehrschluss jedoch sollten die Städte so wenig restriktiv wie möglich agieren und fördern, anstatt nur zu fordern. Dazu könnte beispielsweise ein Modell gehören, das zwar klare rechtliche Leitlinien vorgibt, die jedoch je nach Bedarf angepasst werden können. Ein Beispiel stellt das Umgebungsgesetz in den Niederlanden dar, das im Unterschied zu zahlreichen anderen Baurechtsvorschriften grundsätzlich die Abweichung von der eigentlichen Norm ermöglicht – sofern alle Beteiligten einverstanden sind. In Deutschland beispielsweise sind Abweichungen zwar möglich – etwa beim Höchstmaß der Grundstücksausnutzung über die Grenzen der Baunutzungsverordnung hinaus –, derartige Abweichungen sind allerdings vergleichsweise eng reglementiert.

 

Bei der Stadtplanung die Skaleneffekte im Blick behalten

Genau wie bei der Frage nach dem energieschonenden Heizen muss die Kühlung unserer Städte anhand politischer sowie planerischer Vorgaben und Maßnahmen entwickelt sowie mit modernen und klimaschonenden Neubauimmobilien von Projekt zu Projekt umgesetzt werden. 

Bestes Beispiel für eine solche Maßnahme auf Stadtebene ist die Einrichtung eines Fernkältenetzes analog zum Fernwärmenetz der meisten Städte. Die Idee, die auch in Singapur verwirklicht wurde, ist an sich ist keinesfalls neu, beispielsweise existierte bereits in den 1970er-Jahren eine zentrale Versorgung durch Kompressionskältemaschinen im heutigen Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt). Die Durchführbarkeit einer solchen Maßnahme ist jedoch von Stadt zu Stadt unterschiedlich schwer – was unter anderem an bauplanerischen Aspekten oder der bestehenden Architektur liegt. 

Fernkälte im Sommer als Ergänzung zur Fernwärme im Winter 

 

Die Frage ist zudem genau wie bei den eingangs erwähnten Klimaanlagen, wie auf Stadtebene eine möglichst energieschonende Variante der Innenraumkühlung gefunden werden kann. Neben konventionellen zentralen Methoden wird an alternativen Ansätzen geforscht, wie das Beispiel des Wiener Pilotprojekts für ein sogenanntes dezentrales Anergienetz zeigt: Hierzu werden Erdwärmesonden in etwa 100 Meter Tiefe als Zwischenspeicher für Sommerwärme und Winterkälte genutzt. In zwei Wiener Wohnsiedlungen wurde dieser Ansatz erfolgreich umgesetzt. Einem Artikel der Baufachzeitung a3BAU zufolge würde sich die Anergienutzung für ein Gründerzeitwohnhaus bereits nach 20 Jahren amortisieren. Gerade für die schönen, aber wenig energieeffizienten Altbauimmobilien lässt sich neben der Frage nach der Kühlung auch ein hohes Maß an fossilen Brennstoffen beim Heizen einsparen.

Ein weiterer Ansatz auf Stadtebene, der jedoch auch durch die private Immobilienwirtschaft umgesetzt werden kann, ist die konsequente Verwendung der natürlichen Kühlwirkung des Wassers. Der Geografin Komali Yenneti von der University of Wolverhampton zufolge können städtische Gebiete durch Wasser und Wasserdampf in Form von Wasserbecken, Springbrunnen oder auch Sprinkleranlagen um drei bis acht Grad gekühlt werden. In Verbindung mit einer gezielten Begrünung – beispielsweise von Uferpromenaden und in städtischen Parks – lässt sich ebenfalls die Lebensqualität erhöhen. An Beispielen wie diesen zeigt sich, dass die Mittel zur Kühlung unserer Städte selbst in kleinerem Format bei privatwirtschaftlichen Immobilienprojekten nutzwertig eingesetzt werden können. 

Springbrunnen sind im Sommer eine willkommene Abkühlung – sowohl für die Stadt als auch für ihre Bewohner

 

Wissensaustausch von Projekt zu Projekt

Während Beton und Asphalt die Wärmestrahlung der Sonne speichern, bewirken reflektierende Baumaterialien das genaue Gegenteil. Besonders die Dachflächen spielen dabei eine wichtige Rolle. In New York wurden bereits Hunderttausende Quadratmeter Dachfläche weiß gestrichen, und auch die Wissenschaft bestätigt den Erfolg entsprechender Methoden. Eine Simulation für ein Quartier in der argentinischen Stadt Mendoza hat ergeben, dass für eine jeweils zehn Prozent stärkere Reflexionsstrahlung (Albedo) auf horizontalen Dächern die Außentemperatur um je 0,75 Grad sank. Bei der Außenfassade jedoch zeigte sich das genau umgekehrte Bild: Dort erhöhen stark reflektierende Materialien die Außentemperatur sogar, was auch die Verwendung von spiegelndem Glas potenziell schwierig gestaltet. 

Besonders in schlecht isolierten älteren Immobilien wird die Sommerhitze schnell zur Belastung

 

Aber was ist die bestmögliche Lösung für Neubauimmobilien – stets im Rahmen mit den anderen wichtigen Zielen, die Bestandteil vieler ESG-Kriterienkataloge sind. Sollen Dächer besser begrünt oder weiß angestrichen werden? Oder ist vielmehr die Installation einer Photovoltaikanlage in Verbindung mit einer Wärmepumpe der beste Weg, um grüne Energie zu erzeugen und gleichzeitig auch noch das Gebäudeinnere zu kühlen? 

Ähnlich wie beim Thema Quartiersentwicklung sollten die Antworten auf diese Fragen kein Herrschaftswissen einzelner Akteure bleiben. Ein Wissensaustausch über Unternehmensgrenzen hinweg ist vielmehr das Mittel der Wahl. Schließlich schaffen vor allem Kombinationseffekte die besten Resultate. Ob das Projekt auf dem Nachbargrundstück also womöglich von einem Wettbewerber entwickelt wird, ist aus Klimasicht herzlich egal.

 

Die Qualität der Kühle ist wichtig

Der besagte Wissensaustausch sollte sich ebenso auf die Frage beziehen, welche Kühltechnik innerhalb der Immobilie zum Einsatz kommen sollte. Hierbei ergeben sich die womöglich wichtigsten Stellschrauben in Sachen Aufenthaltsqualität – denn Kälte ist nicht gleich Kälte. Konventionelle Kühlsysteme arbeiten über einen Luftstrom. Nicht erst seit Aufkommen der COVID-19-Pandemie sind die Nachteile dieser Technologie bekannt: Krankheitserreger verbreiten sich über die Klimaanlage, während die trockene Luft die Schleimhäute austrocknet und für Staubverwirbelungen sorgt. Wärme- und Kältestrahler hingegen sorgen für eine natürlichere Art der Kühlung, die zudem nur etwa die Hälfte an Energie benötigt. 

Wie sich die entsprechenden Anlagen verbauen lassen und welche weiteren technischen Vorrichtungen zur effizienten Gebäudekühlung wegweisend sein können, erfahren Sie in unserem aktuellen Experteninterview mit Dr. Wolfgang Kristinus von B+M Baustoff + Metall.